- Musik: Der musikalische Stilwandel um 1750 - Galanter und empfindsamer Stil
- Musik: Der musikalische Stilwandel um 1750 - Galanter und empfindsamer StilDie historische Musikwissenschaft hatte sich für die Epochengrenzen der Musikgeschichte im 18. Jahrhundert früh auf die Begriffe »Barock« und »Klassik« festgelegt. Man sah dabei zunächst auf die Musik der »großen Meister« wie Bach und Händel einerseits, Haydn, Mozart und Beethoven andererseits. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde man darauf aufmerksam, dass es auch dazwischen viele beachtenswerte Komponisten und eine Fülle interessanter Musik gab, doch die tragenden Epochenbegriffe waren bereits vergeben. Die Schwierigkeit, für den Zeitraum von etwa 1720 bis 1770 treffende Bezeichnungen zu finden, zeigt sich an Verlegenheitsbildungen wie »Spät«- oder gar »Nachbarock« beziehungsweise »Vorklassik«. Sie vermitteln die Vorstellung, die Musik dieser Zeit repräsentiere keinen eigenen Stilbereich und sei nur als Übergangsphänomen aufzufassen. Auch der Terminus »musikalisches Rokoko« kann nicht ganz überzeugen, da die bestimmenden Elemente, die die Kunstgeschichte dem »Rokoko« zuweist, nur andeutend auf die Musik übertragen werden können. Am ehesten lässt sich der Stilwandel um 1750 mit den Begriffen »galanter Stil«, »Empfindsamkeit« oder »empfindsamer Stil« und »musikalischer Sturm und Drang« beschreiben, auch wenn sie jeweils nur Teilaspekte der Kompositionen und ihrer ästhetischen Wirkung zum Ausdruck bringen.»Galant« und »empfindsam« sind zentrale Vokabeln in der ästhetischen Diskussion dieser Zeit. Schon seit dem späten 17. Jahrhundert bezeichnete man in Frankreich als »galant homme« einen Menschen mit vornehm eleganter Lebensart, geistvoller Rede sowie Geschmack und Urteil in den Künsten. Die Übertragung auf die Musik geschah zunächst nicht so sehr im Dienste der Charakterisierung von Kompositionen, sondern meinte mehr die Haltung und Einstellung des Hörers im Sinne eines gebildeten Dilettanten. Musik, die aus dieser Einstellung heraus Gefallen fand, wurde also in erster Linie auf ihren kultivierten und eleganten Gesamteindruck hin beurteilt und erst in zweiter Linie auf spezifisch musikalische Qualitäten angewendet. Auch der Ausdruck »empfindsam« spielte bereits in der allgemeinen Kunsttheorie eine bedeutsame Rolle, ehe er auf die Musik übertragen wurde. Seit Ende der 1750er-Jahre verbreitete er sich als eine Art Modewort, insbesondere durch Lessings Vorschlag, mit »empfindsam« das englische Wort »sentimental« zu übersetzen.Zu den zeittypischen Veränderungen und Umgewichtungen musikalischer Elemente lassen sich diese Begriffe mit einiger Vorsicht durchaus in Beziehung setzen. Im galanten Stil wird die Melodik zum führenden Element eines vorwiegend homophonen, geringstimmigen Satzes mit leichter, unauffälliger Bassführung. Die melodischen Linien sind - im Sprachgebrauch der Zeit - »fließend« und »gefällig« gehalten, oft kurzgliedrig und von Pausen in einzelne sprechende Phrasen unterteilt, im Ausdruck wechselnd, jedoch übersichtlich periodisiert. Im empfindsamen Stil intensiviert sich der melodische Gehalt, zum Beispiel durch verstärkte Vorhaltsbildungen, die als Seufzer bezeichnet werden, durch Chromatik und expressive Intervalle. Beides kann sich im gleichen Stück durchdringen und ergänzen, da galanter und empfindsamer Stil weder zeitlich noch in Bezug auf Gattungen oder Komponisten streng zu trennen sind.Die galante Harmonik wird durchgängig einfacher und flächiger. Häufig beobachtet man über viele Takte hin nur geringe harmonische Veränderungen, zumal die Harmonik der Melodik untergeordnet und vorwiegend als akkordische Begleitung wirksam wird. Die empfindsame Stilkomponente demgegenüber zeigt eine Tendenz zu reicherer, ausdrucksvollerer Harmonik und wendet sich stärker den Moll-Tonarten zu, die bei »galanten« und »gefälligen« Stücken ganz zurücktreten. Mit der Lösung vom Generalbass am Ende des Barockzeitalters verliert die Bassstimme ihre eindeutig tragende Funktion. Sie kann melodische Konturen annehmen, sich über längere Strecken in höheren Lagen bewegen und unisono bzw. in Oktavverdopplung mit der Oberstimme geführt werden.Rhythmik und Metrik unterstützen im galanten Stil die Klarheit und Durchschaubarkeit des kompositorischen Aufbaus durch kleine und kleinste Wiederholungen nach dem Vorbild eleganter, geistvoller Rede. Periodisierende, symmetrische Anordnungen realisieren das »Fließende« einer weitgehend konfliktlosen Melodik. Empfindsame Passagen neigen in rhythmischer Hinsicht zu stärkeren Kontrasten, Synkopen und spannungsvollen Pausen.Wichtige Veränderungen vollziehen sich im Bereich der Form. Die dreisätzige Sonate und die viersätzige Sinfonie sind die repräsentativen zyklischen Formbildungen des neuen Stils. In den Kopfsätzen wird die Sonatenhauptsatzform mehr und mehr zum tragenden Prinzip, wenngleich noch nicht in der differenzierten Durchbildung des klassischen Sonatensatzes.Der Klang verändert sich in Richtung auf eine durchsichtige, oberstimmenbetonte Satzanlage. Polyphone Arbeit wird weitestgehend vermieden. Klangfüllende, also weniger selbstständige Mittelstimmen, ersetzen die akkordische Begleitung, wie sie im Barock üblich war, durch ein Generalbassinstrument. Das Klavichord mit seinem leisen, differenzierten Anschlag wurde zum beliebtesten Instrument. Nach der Mitte des Jahrhunderts setzte sich das Hammerklavier, das zunächst ebenfalls noch eine leichte, unaufdringliche Tongebung besaß, mehr und mehr durch. In der Musik für Orchester bereicherten solistisch geführte Bläser durch Kontrastfarben den grundierenden Streicherklang. Wichtiger Bestandteil dieser veränderten Klanglichkeit ist eine affektvolle, reich abgestufte Dynamik, wie sie besonders in der Mannheimer Schule eindrucksvoll hervortrat.Prof. Dr. Peter SchnausBimberg, Guido: Musik in der europäischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Weimar u. a. 1997.Geschichte der Musik, herausgegeben von Michael Raeburn und Alan Kendall. Band 1: Von den Anfängen bis zur Wiener Klassik. München u. a. 1993.
Universal-Lexikon. 2012.